Undesirable Heritage: Über eine „geradezu geeignetste Nutzung“

Seit zwei Wochen finden weltweit Proteste und Debatten zu Polizeigewalt und Rassismus statt. Zugleich trat der österreichische Innenminister Karl Nehammer letzten Dienstag vor die Öffentlichkeit, um den finalen Entwurf zum Umbau des Geburtshauses Adolf Hitlers in eine Polizeiwache vorzustellen. Das sei „die geradezu geeignetste Nutzung, denn die Polizei ist die Hüterin der Freiheitsrechte und die Partnerin der Bürgerinnen und Bürger“, kommentierte Nehammer die Umwidmung des Gebäudes.1 Der österreichische Staat sucht seit Jahren einen Umgang mit dem Haus in Braunau am Inn, das zu einem informellen Pilgerort für Rechtsextreme avancierte. Diese Art von herausforderungsreichen historischen Relikten nennt die Ethnologin Sharon Macdonald Undesirable Heritage. Sie fasst darunter Kulturerbe, das dem zeitgenössischen Selbstverständnis einer Gesellschaft widerspricht, ihren öffentlichen Konsens strapaziert und deswegen abgelehnt wird. Insbesondere zählen dazu Orte, die eng mit Täter*innenschaft verbunden sind und als Plattform ihrer Glorifizierung missbraucht werden können.2

Obgleich Adolf Hitler nur wenige Monate in dem Braunauer Haus verbracht hatte, erwarb der Funktionär Martin Bormann das Gebäude 1938 für die NSDAP, um es zu sanieren, unter Denkmalschutz zu stellen und darin ein faschistisches Kulturzentrum unterzubringen.3 Die Hervorhebung des Orts verhinderte jedoch Hitler selbst, der alle Spuren seiner kleinbürgerlichen Herkunft zu tilgen versuchte. Das hielt seine Anhänger*innen nicht davon ab, den Ort zu mystifizieren und besonders ab der Nachkriegszeit zum Ziel von Pilgerreisen zu machen, ganz gleich, wie die Architektur nun genutzt wurde. Nach dem Dritten Reich beherbergte der Bau unter anderem eine Bücherei, eine Bankfiliale, eine Schule und ein Wohnprojekt für Menschen mit Beeinträchtigungen.4 Derzeit steht das Haus leer. Nachdem die Regierung jahrelang mit der letzten Eigentümerin über die Zukunft des Gebäudes verhandelte, wurde sie 2017 enteignet. Seither beratschlagen Gremien über den weiteren Umgang mit dem Ort. Eine eigens berufene Expert*innenkommission schlug vor, den Bau für administrative oder soziale Zwecke zu nutzen. Zu ihren Empfehlungen zählte auch die „Fassadenveränderung zur Dekonstruktion der historischen Wiedererkennung“.5 Damit würde unterbunden, dass rechtsextreme Tourist*innen weiterhin Selfies vor dem Gebäude aufnähmen und Putz abkratzten.6 Umbau und Umnutzung seien geeignete Maßnahmen, um den Mythos zu brechen und den Ort zu „neutralisieren“, wie verschiedene Beteiligte es formulierten.7

Die Republik Österreich schrieb einen Architekturwettbewerb für die Neugestaltung des Gebäudes aus. Dabei gewann das Büro Marte.Marte, das einen Rückbau der Fassade in den Zustand von 1938 vorschlug. Das bedeutet eine Tilgung der Gestaltungsarbeiten, die während des Dritten Reichs durch die NSDAP vorgenommen wurden. Dies könnte als Versuch verstanden werden, die Episode des Nationalsozialismus unsichtbar zu machen und den historischen Kontext des Gebäudes zu beseitigen, gibt die Historikerin Laura Langeder zu Bedenken.8 Dennoch hält sich die Kommission an das Konzept der baulichen „Neutralisierung“, in unerschütterlichem Glauben an die geschichtspolitische Performanz der Umgestaltung. Sie erkennt den Baumaßnahmen damit das Potential zu, einen vielfach mystifizierten Ort ästhetisch umdeuten zu können. Diese Prämisse zeigt ein grundsätzliches Missverständnis von Architektur, besonders aber von kulturellen Dynamiken, die nicht durch eine Sanierung umgelenkt, sondern vor allem durch kollektive Reflektionsarbeit beeinflusst werden können.

Dass der ästhetisch neutralisierte Bau ausgerechnet eine Polizeiwache beherbergen soll, erweitert die Gleichung. Die Beamt*innen werden dabei als neutralisierende Akteure eingesetzt. Ihr Aufgabengebiet wird auf die Sicherung historischer Ordnung erweitert. Das ist eine willkürliche Umdeutung der Situation in einem Staat, wo die Polizei daran scheitert, ihre Durchwachsung mit altbekannten, rechtsextremen Ideologien aufzuklären.9 Die Neuwidmung des Baus wird in den Kommentarspalten österreichischer Medien bereits als tautologischer Akt belächelt, es wird also impliziert, Beamt*innen und Pilger*innen seien identisch. Doch selbst wenn es nur wenige oder sogar gar keine NS-Sympathisant*innen unter den Sicherheitskräften gäbe, ist die Idee einer neutralen Polizei eine Illusion.

Ein Mensch muss nicht rechtsextrem gesinnt sein, um Racial Profiling zu betreiben. Wie die Autorin Tupoka Ogette erklärt, muss man nicht einmal rassistische Absichten haben, um zu diskriminieren.10 Oft behindert die Annahme, nur bewusst fremdenfeindliche Menschen wären rassistisch, sogar die Auseinandersetzung mit alltäglichem und strukturellem Rassismus. Die Idee, dass die Polizei einen Pilgerort für Neonazis mit ihrer Anwesenheit neutralisieren könne, verdichtet dieses Problem. Sie suggeriert eine Opposition der Polizei zu rassistischen Ideologien der Vergangenheit und Gegenwart. Indem dieses Verhältnis gar als Neutralisierung bezeichnet wird, spricht man den Behörden eine antifaschistische Wirkung zu. Sicherlich könnte man behaupten, dass die Polizei gleichzeitig antifaschistisch und rassistisch sein könnte. Aber eine rassistisch agierende Behörde mit Gewaltmonopol kann nicht als neutral bezeichnet werden. Denn das würde auch vermitteln, dass jede von Polizist*innen ausgeübte Gewalt neutral wäre. Der Exekutive eine neutralisierende Funktion zuzusprechen, verdeckt individuell und strukturell motivierte rassistische Polizeigewalt. Statt die Vergangenheit und Gegenwart mit einem Narrativ der Neutralisierung umzudeuten, sollten die Verantwortlichen gleichermaßen zur Auseinandersetzung mit rechtsextremen Ideologien und strukturellem Rassismus anregen und die Rolle der Exekutive in beiden Zusammenhängen klären. Es kann keine “geradezu geeignetste Nutzung” des Geburtshauses Adolf Hitlers geben.

1 N.a.: Adolf Hitlers Geburtshaus soll Polizeiwache werden”, Zeit Online, 2. Juni 2020.
2 Vgl. Langeder, Laura: Zurück zum Biedermeier”, ORF Online, 6. Juni 2020.
3 Vgl. Wagener, Volker: Adolf Hitlers Geburtshaus wird abgerissen, Deutsche Welle, 17. Oktober 2016.
4 Vgl. Maxwill, Peter: “Enteignung von Hitlers Geburtshaus ist rechtens”, Der Spiegel, 30. Juni 2017.
5 Frauscher, Reinhard: Streit um Hitlers Geburtshaus, Der Tagesspiegel, 18. Oktober 2016.
6 Vgl. Kahlweit, Cathrin: Das sind die Pläne für Hitlers Geburtshaus, Zeit Online, 18. Oktober 2016. 
7 Vgl. Rupnow, Dirk: „Als wäre nichts gewesen? Zu den Umbauplänen für das Hitler-Geburtshaus, Die Presse, 12. Juni 2020.
Vgl. Langeder, Laura: Zurück zum Biedermeier”, ORF Online, 6. Juni 2020.
9 Vgl. Schmid, Fabian:  Österreichweit fünf Polizisten unter Neonazi-Verdacht, Der Standard, 4. August 2019.
10 Vgl. Ogette, Tupoka: Exit Racism: Rassismuskritisch denken lernen, Heinrich Böll Stiftung Online, 22. Juni 2017.

Lena Schubert is a writer exploring art in the contexts of housing and the city, histories of knowledge, sustainability, and psychology. Her post-critical essays derive from critical theory rather than traditional art critique. She partly takes detours into fiction.