Um den alten Tempel herum Wird jeden Tag getanzt, Profan gesungen, fröhlich zelebriert. Kleine Feuer werden täglich entzündet, Um den leblosen Koloss warm zu halten.
Und heimlich öffnet er seine kaum faltigen Türen, wenn ihm neue Schätze zwischen den Stockwerken gewachsen sind.
Ich habe mich nie gefragt, wie es in den versteckten unterirdischen Räumen des Flughafens Schönefeld oder Tegel aussieht. Eigentlich versuche ich eher so wenig Zeit wie möglich in einem Flughafen zu verbringen. Der Tempelhofer Flughafen hingegen weckt mein Interesse. Das Gebäude bleibt stets geschlossen und das Feld, das ehemalige Rollfeld, ist immer voll mit Leuten, die dort chillen, grillen, spielen, und alle mögliche Hobbies ausprobieren. Die Geschichte des Orts ist natürlich sehr stark. So, dass jede*r sich freut, wenn für eine Veranstaltung die Tore des Gebäudes eine kurze Zeit geöffnet werden. Dieser Flughafen erregt bei allen eine sonderbare Faszination.
Das Projekt “Tempelhofer Wald” bietet eine Reihe von Veranstaltungen im Flughafen an: Vor allem Vorträge und Performances. Es gibt unter anderem drei künstlerische Parcours, die durch unterschiedliche Bereiche des Gebäudes führen. Ich konnte nur an der Exkursion Nr. 3 teilnehmen, auch “Gepäckraum” genannt.
Wir sind eine kleine Gruppe von Besucher*innen und folgen einer Führerin, die uns zuerst zum Haupteingang des Flughafens leitet.
Da stehen wir vor dem Informationsschalter, hinter dem die ehemalige Gepäckabgabe noch zu sehen ist. Im Informationsschalter arbeitet der Künstler Haluk Atalayman, der seine Installation “IN FORMATION” weiter aufbaut. Die kleine durchsichtige Kabine füllt er mit biegsamen schmalen Brettern; die Kabine ist schon so voll, dass ich erst nach ein paar Sekunden merke, dass der Künstler sich tatsächlich darin aufhält. Da die Linie komplexe Kurven bilden, muss sich Haluk Atalayman langsam und aufmerksam innerhalb seiner Installation bewegen. Er hält ein Ende der Linie in der Hand und füllt damit weiter den Raum , in dem er die Latte nach weiterzieht. Es ist nicht zu sehen, wo die Linie anfängt, weil mehrere Fäden aus der Lüftung in der Decke kommen und sich in der Kabine verlieren. Haluk Atalayman trägt einen Gehörschutz. Ist es laut in seinem Schalter? Was könnte überhaupt laut sein? Wir beobachten sein langsames Fortschreiten von draußen und stehen in der Stille des früheren Flughafens. Es scheint, dass zwei parallele Welte sich für eine kurze Zeit gegenseitig treffen, ohne, dass sie in eine direkte Kommunikation treten können. Ich bin wie hypnotisiert und folge mit voller Konzentration den Wegen der Linie, die sich unendlich ausbreitet.
Nach einiger Zeit beginnt unsere Guide, ohne ein Wort zu verlieren, wieden weiter zu laufen und wir folgen ihr, gespannt auf die nächste Begegnung. Ein paar Meter weiter sitzt die Künstlerin Martina Hefter in einer kleinen Nische, wo sie versucht, ein imaginäres Schlafzimmer einzurichten. Mit einem Maßband hält sie fest, wo das Bett, der Schrank, das ganze Mobiliar stehen würde. Sie hat ein paar farbige Requisiten dabei: unter anderem zwei Klötze, ein kleines Pferd und einen Tannenbaum aus Plastik. Sie platziert sie in den Raum und deutet, was diese Gegenstände verkörpern könnten. Mal stehen sie für konkrete Elemente (die Klötze sind der Schrank, usw.) und unterstreichen damit die Vorstellung des hypothetischen Schlafzimmers, mal stehen sie für abstrakte Konzepte wie das Dunkle, das Helle, die Liebe, das Lustige oder die Verwirrung. Martina Hefters tänzerische Bewegungen und ihr ständiger Wechsel zwischen kindlicher und ernster Redeweise setzen die ganze Performance in den Bereich des inszenierten Spiels. Auch hier wird mit uns kommuniziert, als würden wir hinter einer Glasscheibe stehen.
Als wir mit unserer Führerin zusammen den Raum verlassen, blickt uns die Künstlerin hinterher mit einem ehrlichen Lächeln. Sie ist aus ihrer Rolle ausgestiegen und dieses Lächeln hat mich bisher nicht verlassen.
Wir halten vor einem langen Flur, wo die Musikerin Susanne Stock auf einem Stuhl sitzt. Sobald wir vor ihr stehen, stimmt sie eine ungewohnte Melodie auf ihrem Akkordeon an. An ihren Füßen liegt ein Blatt Papier mit einem Gedicht von Louis Aragon.
“Il pleut des fleurs Le printemps / Est venu trop vite / Les bourgeons se sont ouverts d’erreur / … / … / Ainsi toujours / Les idées” “Es regnet Blüten Der Frühling / Ist zu schnell gekommen / Die Knospen haben sich irrtümlicherweise geöffnet / … / … / So wie immer / Die Ideen”
Die Musik ist disharmonisch und weckt die Neugierde. Es handelt sich um ein Stück von Annette Schlünz – “Journal n° 6” -. Je länger sie spielt, je tiefer verstehe ich das Gedicht. Die Wörter scheinen den Weg der Noten zu treffen, um zusammen einen Sinn zu ergeben.
Wir laufen weiter, ein paar Treppen hinunter und befinden uns nun in den unterirdischen Räumen der Gepäckablage. Vermutlich da, wo das Gepäck damals sortiert wurde. Das alte Rollband ist noch makellos. Es sieht so aus, als hätte sich nichts geändert. Nur der Staub und manche gebrochene Fenster zeugen von der vergangenen Zeit. Die herrschende Stille wird vom Klang eines Kontrabass unterbrochen. Es ist das erste Mal, dass wir den Raum zusammen mit einem*r Perfomer*rin teilen. In diesem leeren No-Man’s-Land spielt John Eckhardt Ausschnitte vom selbstkomponierten Stück “XYLOBIONT – ear to the wood”. Obgleich sie gar nicht dafür erdacht wurde, ist die Akustik in dem Raum erstaunlich schön. Die Melodie fasziniert, weil sie mal sehr weich, mal disharmonisch ist. Daraus ergibt sich ein eigenartiger Eindruck, eine Art verführerische Instabilität, die die Merkwürdigkeit der Situation wunderbar reflektiert. Der funktionale, betonierte staubige Gepäckraum trifft den Klang eines Kontrabass.
Danach werden wir zu Frank Willens’ Performance “In the Midst” geführt. Der Schauspieler inszeniert sich hierbei in einem Box-Training. Er steht allein in einem Raum, der von unserem durch ein Drahtgitter getrennt ist. Er trägt einen roten Ganzkörperanzug und boxt gegen einen Sandsack. Die grelle Beleuchtung blendet und macht es schwer zu erkennen, was für Gegenstände um ihn herum stehen. Nach einigen Minuten läuft er los, hinaus aus seinem Käfig, lässt die Türe weit offen, verschwindet kurz und taucht wieder ein paar Meter weiter auf, rennt weiter, weiter hinab in eine Art Lagerraum, in dem er in der Dunkelheit verschwindet. Plötzlich sind laute Trommelschläge zu vernehmen und Ausrufe. Der Künstler scheint den immer gleichen Satz zu wiederholen; Als wäre er in einer Art Trance versunken. Auch wenn er uns nicht sichtbar ist, verbindet uns der gemeinsame Raum der Akustik. Die Trommelschläge werden intensiver und mit ihnen werde aus den Ausrufen immer mehr Schreie. Er versucht lauter zu schreien, lauter als die Trommel, auf die er schlägt. Durch die Gesten, die Stimme, die Farben, die Handlungen und die nun einsetzende stroboskopartige Beleuchtung übermittelt die Performance eine Aggressivität und hinterlässt ein Gefühl von Verständnislosigkeit, die schwierig sind, zu analysieren.
Sobald Frank Willens’ Trommel schweigt, müssen wir ihm auch schon den Rücken zuwenden, um Anna Weißenfels’ Performance zu sehen. Diese wird am Ende der Halle gespielt. Da, wo mehrere kurze Flure in der Breite der Halle nebeneinander mit offenen Türen stehen. In der Ferne sieht man das Tempelhofer Feld. Eine schöne Landschaft, die von der einsetzenden Dämmerung allmählich verdüstert wird. In einem der Flure steht Anna Weißenfels in einem hellblauen Kostüm. Der Stoff ist leicht und der Schnitt ist weit gefasst in Richtung der Beine, so dass die Hose fröhlich zittert nach Lust und Laune des Winds. Anna Weißenfels steht vor einer Tür zwischen zwei Fluren. Sie tritt auf mit lauten Schritten, bleibt dabei aber an gleicher Stelle. Sie gibt Impulse, bleibt aber hinter der Tür. Bis sie mit einem Mal Schwung holt, durch die Tür schreitet und beginnt zu singen. Ihr wortloser Gesang ist geprägt durch ihre bezaubernde Stimme, die die vorherige Performance stark kontrastiert. Mit lauter Stimme entfernt sich Anna Weißenfels von uns. Sie läuft in die Richtung des Rollfelds. Sie entschwindet, aber ihre Stimme bleibt nah an mir. Die wachsende physische Distanz scheint durch ihren Gesang und die magische Atmosphäre aufgehoben zu sein.
Die nächste Performance befindet sich im Erdgeschoss des Gebäudes. Nach ein paar Treppenstufen stoßen wir auf drei seltsame Menschen. Peter Cant, Danilo Shramenko, und Mathis Kleinschnittger. Sie empfangen uns verkleidet und haben zahlreiche Requisiten bei sich: Bälle, Koffer, Federbälle, Handtücher, Kescher… an uns werden Salzbrezeln verteilt. Laut dem Performer, der sie ausgibt, wären diese so salzig, dass wir die Hitze vergessen werden, um uns auf den Durst zu fokussieren. Dann werden uns Bälle zugeworfen, Requisiten und Kleidungen verteilt, die wir anziehen müssen. Wir werden dazu gebracht, miteinander zu spielen. Es ist die einzige Performance, in der wir tatsächlich aktiv mitmachen sollen. Ein Performer spielt Musik auf seinem Handy, Bälle fliegen überall herum, alle Beteiligten lächeln in diesem chaotischen Spiel. Allmählich interagieren die Performer weniger mit uns: jeder hat ein eigenes Spielzeug gefunden und spielt allein. Sie erinnern mich dabei an Katzen, wie sie das Interesse am gemeinsamen Spiel verlieren, weil sie eine neue Faszination für ein Gummiband oder für ein altes Blatt Papier entdecken.
Nach dieser Spielpause laufen wir durch einen langen Flur, um wieder fast zum Ausgangspunkt der Exkursion anzukommen. In diesem Korridor ist noch die Klanginstallation “Timber!” des Künstlers Max Kullmann zu hören. Es ist eine Mischung von wahrscheinlich verstärkten Geräuschen, von denen es mir nicht möglich erscheint diese zu differenzieren, geschweige denn diese zu identifizieren. Ich höre jedoch, dass die Geräusche zu einem anderen Ort gehören. Sie wurden woanders eingefangen, verstärkt, und hier platziert. Visuell besteht die Installation nur aus Lautsprecherboxen, die auf dem Boden liegen. Den Künstler sieht man nicht. So, dass man sich nur auf den Zusammenhang zwischen dem Raum und den Geräuschen konzentriert. Die eigentliche Stille des Gebäudes betont die Merkwürdigkeit der Aufnahmen. Und die Aufnahmen wiederum akzentuieren die Stille des Orts, denn sie kommen eindeutig aus einem anderen Kontext und aus einem anderen akustischen Raum. Die zwei Elemente der Installation – der Raum und die Geräusche – verstärken gegenseitig ihre Anwesenheit und Eigenartigkeit.
Am Ende fällt es mir sehr schwer, diese Performances miteinander zu verbinden und zusammen zu analysieren. Sie haben mich so unterschiedlich berührt und haben so viele Gedanken in mir hervorgerufen, dass ich kaum weiß, warum sie so gut zusammen funktionieren. Vielleicht ist es auch nicht schlimm: Im (Tempelhofer) Wald wachsen unterschiedliche Leben, die sich gegenseitig unterstützen und ergänzen. Im Wald sieht man die Wurzeln nicht, die die Bäume zusammen verbinden. Man kann sie sich aber immer einbilden.
Um den alten Tempel herum
Wird jeden Tag getanzt,
Profan gesungen, fröhlich zelebriert.
Kleine Feuer werden täglich entzündet,
Um den leblosen Koloss warm zu halten.
Und heimlich öffnet er seine kaum faltigen Türen, wenn ihm neue Schätze zwischen den Stockwerken gewachsen sind.
Ich habe mich nie gefragt, wie es in den versteckten unterirdischen Räumen des Flughafens Schönefeld oder Tegel aussieht. Eigentlich versuche ich eher so wenig Zeit wie möglich in einem Flughafen zu verbringen. Der Tempelhofer Flughafen hingegen weckt mein Interesse. Das Gebäude bleibt stets geschlossen und das Feld, das ehemalige Rollfeld, ist immer voll mit Leuten, die dort chillen, grillen, spielen, und alle mögliche Hobbies ausprobieren. Die Geschichte des Orts ist natürlich sehr stark. So, dass jede*r sich freut, wenn für eine Veranstaltung die Tore des Gebäudes eine kurze Zeit geöffnet werden. Dieser Flughafen erregt bei allen eine sonderbare Faszination.
Das Projekt “Tempelhofer Wald” bietet eine Reihe von Veranstaltungen im Flughafen an: Vor allem Vorträge und Performances. Es gibt unter anderem drei künstlerische Parcours, die durch unterschiedliche Bereiche des Gebäudes führen. Ich konnte nur an der Exkursion Nr. 3 teilnehmen, auch “Gepäckraum” genannt.
Wir sind eine kleine Gruppe von Besucher*innen und folgen einer Führerin, die uns zuerst zum Haupteingang des Flughafens leitet.
Da stehen wir vor dem Informationsschalter, hinter dem die ehemalige Gepäckabgabe noch zu sehen ist. Im Informationsschalter arbeitet der Künstler Haluk Atalayman, der seine Installation “IN FORMATION” weiter aufbaut. Die kleine durchsichtige Kabine füllt er mit biegsamen schmalen Brettern; die Kabine ist schon so voll, dass ich erst nach ein paar Sekunden merke, dass der Künstler sich tatsächlich darin aufhält. Da die Linie komplexe Kurven bilden, muss sich Haluk Atalayman langsam und aufmerksam innerhalb seiner Installation bewegen. Er hält ein Ende der Linie in der Hand und füllt damit weiter den Raum , in dem er die Latte nach weiterzieht. Es ist nicht zu sehen, wo die Linie anfängt, weil mehrere Fäden aus der Lüftung in der Decke kommen und sich in der Kabine verlieren. Haluk Atalayman trägt einen Gehörschutz. Ist es laut in seinem Schalter? Was könnte überhaupt laut sein? Wir beobachten sein langsames Fortschreiten von draußen und stehen in der Stille des früheren Flughafens. Es scheint, dass zwei parallele Welte sich für eine kurze Zeit gegenseitig treffen, ohne, dass sie in eine direkte Kommunikation treten können. Ich bin wie hypnotisiert und folge mit voller Konzentration den Wegen der Linie, die sich unendlich ausbreitet.
Nach einiger Zeit beginnt unsere Guide, ohne ein Wort zu verlieren, wieden weiter zu laufen und wir folgen ihr, gespannt auf die nächste Begegnung. Ein paar Meter weiter sitzt die Künstlerin Martina Hefter in einer kleinen Nische, wo sie versucht, ein imaginäres Schlafzimmer einzurichten. Mit einem Maßband hält sie fest, wo das Bett, der Schrank, das ganze Mobiliar stehen würde. Sie hat ein paar farbige Requisiten dabei: unter anderem zwei Klötze, ein kleines Pferd und einen Tannenbaum aus Plastik. Sie platziert sie in den Raum und deutet, was diese Gegenstände verkörpern könnten. Mal stehen sie für konkrete Elemente (die Klötze sind der Schrank, usw.) und unterstreichen damit die Vorstellung des hypothetischen Schlafzimmers, mal stehen sie für abstrakte Konzepte wie das Dunkle, das Helle, die Liebe, das Lustige oder die Verwirrung. Martina Hefters tänzerische Bewegungen und ihr ständiger Wechsel zwischen kindlicher und ernster Redeweise setzen die ganze Performance in den Bereich des inszenierten Spiels. Auch hier wird mit uns kommuniziert, als würden wir hinter einer Glasscheibe stehen.
Als wir mit unserer Führerin zusammen den Raum verlassen, blickt uns die Künstlerin hinterher mit einem ehrlichen Lächeln. Sie ist aus ihrer Rolle ausgestiegen und dieses Lächeln hat mich bisher nicht verlassen.
Wir halten vor einem langen Flur, wo die Musikerin Susanne Stock auf einem Stuhl sitzt. Sobald wir vor ihr stehen, stimmt sie eine ungewohnte Melodie auf ihrem Akkordeon an. An ihren Füßen liegt ein Blatt Papier mit einem Gedicht von Louis Aragon.
“Il pleut des fleurs Le printemps / Est venu trop vite / Les bourgeons se sont ouverts d’erreur / … / … / Ainsi toujours / Les idées”
“Es regnet Blüten Der Frühling / Ist zu schnell gekommen / Die Knospen haben sich irrtümlicherweise geöffnet / … / … / So wie immer / Die Ideen”
Die Musik ist disharmonisch und weckt die Neugierde. Es handelt sich um ein Stück von Annette Schlünz – “Journal n° 6” -. Je länger sie spielt, je tiefer verstehe ich das Gedicht. Die Wörter scheinen den Weg der Noten zu treffen, um zusammen einen Sinn zu ergeben.
Wir laufen weiter, ein paar Treppen hinunter und befinden uns nun in den unterirdischen Räumen der Gepäckablage. Vermutlich da, wo das Gepäck damals sortiert wurde. Das alte Rollband ist noch makellos. Es sieht so aus, als hätte sich nichts geändert. Nur der Staub und manche gebrochene Fenster zeugen von der vergangenen Zeit. Die herrschende Stille wird vom Klang eines Kontrabass unterbrochen. Es ist das erste Mal, dass wir den Raum zusammen mit einem*r Perfomer*rin teilen. In diesem leeren No-Man’s-Land spielt John Eckhardt Ausschnitte vom selbstkomponierten Stück “XYLOBIONT – ear to the wood”. Obgleich sie gar nicht dafür erdacht wurde, ist die Akustik in dem Raum erstaunlich schön. Die Melodie fasziniert, weil sie mal sehr weich, mal disharmonisch ist. Daraus ergibt sich ein eigenartiger Eindruck, eine Art verführerische Instabilität, die die Merkwürdigkeit der Situation wunderbar reflektiert. Der funktionale, betonierte staubige Gepäckraum trifft den Klang eines Kontrabass.
Danach werden wir zu Frank Willens’ Performance “In the Midst” geführt. Der Schauspieler inszeniert sich hierbei in einem Box-Training. Er steht allein in einem Raum, der von unserem durch ein Drahtgitter getrennt ist. Er trägt einen roten Ganzkörperanzug und boxt gegen einen Sandsack. Die grelle Beleuchtung blendet und macht es schwer zu erkennen, was für Gegenstände um ihn herum stehen. Nach einigen Minuten läuft er los, hinaus aus seinem Käfig, lässt die Türe weit offen, verschwindet kurz und taucht wieder ein paar Meter weiter auf, rennt weiter, weiter hinab in eine Art Lagerraum, in dem er in der Dunkelheit verschwindet. Plötzlich sind laute Trommelschläge zu vernehmen und Ausrufe. Der Künstler scheint den immer gleichen Satz zu wiederholen; Als wäre er in einer Art Trance versunken. Auch wenn er uns nicht sichtbar ist, verbindet uns der gemeinsame Raum der Akustik. Die Trommelschläge werden intensiver und mit ihnen werde aus den Ausrufen immer mehr Schreie. Er versucht lauter zu schreien, lauter als die Trommel, auf die er schlägt. Durch die Gesten, die Stimme, die Farben, die Handlungen und die nun einsetzende stroboskopartige Beleuchtung übermittelt die Performance eine Aggressivität und hinterlässt ein Gefühl von Verständnislosigkeit, die schwierig sind, zu analysieren.
Sobald Frank Willens’ Trommel schweigt, müssen wir ihm auch schon den Rücken zuwenden, um Anna Weißenfels’ Performance zu sehen. Diese wird am Ende der Halle gespielt. Da, wo mehrere kurze Flure in der Breite der Halle nebeneinander mit offenen Türen stehen. In der Ferne sieht man das Tempelhofer Feld. Eine schöne Landschaft, die von der einsetzenden Dämmerung allmählich verdüstert wird. In einem der Flure steht Anna Weißenfels in einem hellblauen Kostüm. Der Stoff ist leicht und der Schnitt ist weit gefasst in Richtung der Beine, so dass die Hose fröhlich zittert nach Lust und Laune des Winds. Anna Weißenfels steht vor einer Tür zwischen zwei Fluren. Sie tritt auf mit lauten Schritten, bleibt dabei aber an gleicher Stelle. Sie gibt Impulse, bleibt aber hinter der Tür. Bis sie mit einem Mal Schwung holt, durch die Tür schreitet und beginnt zu singen. Ihr wortloser Gesang ist geprägt durch ihre bezaubernde Stimme, die die vorherige Performance stark kontrastiert. Mit lauter Stimme entfernt sich Anna Weißenfels von uns. Sie läuft in die Richtung des Rollfelds. Sie entschwindet, aber ihre Stimme bleibt nah an mir. Die wachsende physische Distanz scheint durch ihren Gesang und die magische Atmosphäre aufgehoben zu sein.
Die nächste Performance befindet sich im Erdgeschoss des Gebäudes. Nach ein paar Treppenstufen stoßen wir auf drei seltsame Menschen. Peter Cant, Danilo Shramenko, und Mathis Kleinschnittger. Sie empfangen uns verkleidet und haben zahlreiche Requisiten bei sich: Bälle, Koffer, Federbälle, Handtücher, Kescher… an uns werden Salzbrezeln verteilt. Laut dem Performer, der sie ausgibt, wären diese so salzig, dass wir die Hitze vergessen werden, um uns auf den Durst zu fokussieren. Dann werden uns Bälle zugeworfen, Requisiten und Kleidungen verteilt, die wir anziehen müssen. Wir werden dazu gebracht, miteinander zu spielen. Es ist die einzige Performance, in der wir tatsächlich aktiv mitmachen sollen. Ein Performer spielt Musik auf seinem Handy, Bälle fliegen überall herum, alle Beteiligten lächeln in diesem chaotischen Spiel. Allmählich interagieren die Performer weniger mit uns: jeder hat ein eigenes Spielzeug gefunden und spielt allein. Sie erinnern mich dabei an Katzen, wie sie das Interesse am gemeinsamen Spiel verlieren, weil sie eine neue Faszination für ein Gummiband oder für ein altes Blatt Papier entdecken.
Nach dieser Spielpause laufen wir durch einen langen Flur, um wieder fast zum Ausgangspunkt der Exkursion anzukommen. In diesem Korridor ist noch die Klanginstallation “Timber!” des Künstlers Max Kullmann zu hören. Es ist eine Mischung von wahrscheinlich verstärkten Geräuschen, von denen es mir nicht möglich erscheint diese zu differenzieren, geschweige denn diese zu identifizieren. Ich höre jedoch, dass die Geräusche zu einem anderen Ort gehören. Sie wurden woanders eingefangen, verstärkt, und hier platziert. Visuell besteht die Installation nur aus Lautsprecherboxen, die auf dem Boden liegen. Den Künstler sieht man nicht. So, dass man sich nur auf den Zusammenhang zwischen dem Raum und den Geräuschen konzentriert. Die eigentliche Stille des Gebäudes betont die Merkwürdigkeit der Aufnahmen. Und die Aufnahmen wiederum akzentuieren die Stille des Orts, denn sie kommen eindeutig aus einem anderen Kontext und aus einem anderen akustischen Raum. Die zwei Elemente der Installation – der Raum und die Geräusche – verstärken gegenseitig ihre Anwesenheit und Eigenartigkeit.
Am Ende fällt es mir sehr schwer, diese Performances miteinander zu verbinden und zusammen zu analysieren. Sie haben mich so unterschiedlich berührt und haben so viele Gedanken in mir hervorgerufen, dass ich kaum weiß, warum sie so gut zusammen funktionieren. Vielleicht ist es auch nicht schlimm: Im (Tempelhofer) Wald wachsen unterschiedliche Leben, die sich gegenseitig unterstützen und ergänzen. Im Wald sieht man die Wurzeln nicht, die die Bäume zusammen verbinden. Man kann sie sich aber immer einbilden.
Titelbild: ©2019 Martin Walz