Vor dem Künstler steht ein Tisch aus Gestellen und einem Brett, auf dem eine transparente Schale steht, die die Rolle einer Obstschale spielt. Im Inneren fünf exotische Früchte: Ananas, Bananen, Avocado, Mango, Granatapfel.
Stille des Publikums. Banane, Mango, Avocado, Granatapfel, Ananas. Wie eine Litanei wiederholt der Künstler diese Worte unermüdlich und zeigt nacheinander auf jede der Früchte. Die Reihenfolge ist unterschiedlich. Die Bewegung seiner Hand ist immer die gleiche. Ein Finger streckt sich gen Frucht, deren Name sodann genannt wird. Hier geht es um einen Ernennung. Objekt X hat einen Namen. Mit der Zeit verschwindet die Bedeutung dieses Wortes für mich. Des Künstlers Litanei wird zu meiner eigenen Litanei. Während ihm stimmlich die Luft ausgeht, geht mir geistig die Luft aus. Die Namen verschmelzen miteinander. Dann stolpert der Künstler über ein Wort, stoppt. Wir, die stille Öffentlichkeit, schauen uns an.
Er nimmt die Früchte einzeln heraus, legt sie in gerader Linie auf den Tisch und stellt sie ihm und uns gegenüber. Zwischen jeder Frucht befindet sich ein Raum, fast gemessen. Zufrieden mit seiner Disposition hebt er den Kopf und schaut uns an. Atmet ein. Erhebt seinen Arm, zeigt mit dem Finger und…. Avocado, Banane, Granatapfel, Ananas, Mango. Die Aufzählung beginnt erneut. Diesmal identisch. Immer schneller und schneller. Nach einer Weile schaut er nicht mehr auf die Früchte, sondern beobachtet, wie wir weiterhin auf jede Frucht blicken, indem er sie benennt. Automatisches Lernen. Es erinnert mich an die Art und Weise, wie ich ein Musikstück lerne. Ich lese zuerst die Noten und spiele sie nach der Partitur, wiederhole diese Noten dann immer wieder, um sie mir zu merken. Die Finger merken sich die Position der Noten auf der Klaviertastatur. Das Gehirn merkt sich die Gesten: wo sich jede Taste auf der Tastatur befindet. Mein Ohr zeichnet das Geräusch auf und kann einen Fehler erkennen.
Der Künstler zeigt hier eine Performance von Erinnerung durch Wiederholung. Das Gehirn nimmt auf. Manchmal schlägt es fehl.
Torben Jost versucht eine neue Kombination, indem er die Früchte bewegt, aber auch anders positioniert. Die Ananas, die sich hingelegt hat, steht nun auf.
Im Publikum etwas Lachen und Lächeln. Humor? Hindernis? Langeweile? Es ist fast wie Situationskomik. Angesichts der Konzentration des Künstlers, der nicht schwächt, werden wir schwächer. Wir lassen uns von unseren Emotionen überwältigen. Aber hier geht es um Kontrolle. Mechanik. Fast roboterhaft. Der Künstler führt unermüdlich die gleiche Geste aus. Sagt immer wieder die gleichen Worte, drückt aber keine Emotionen aus. Obwohl er manchmal scheitert, fängt er immer wieder von vorne an.
Es bezieht sich auch auf Kindheit und Sprachenlernen. Wenn wir die Namen der Objekte erfahren. Unsere Eltern lassen uns unermüdlich wiederholen, indem sie auf den Namen eines Objekts hinweisen. Die gebogene gelbe Frucht ist eine Banana. Wiederholung ist die Grundlage des Sprachenlernens. Ebenso, wenn wir eine Fremdsprache lernen, beginnen wir diesen Prozess von vorne. Es ist die Grundlage der Sprache, dass alles ein Name, eine Bezeichnung ist. Torben Jost erreicht hier eine sprachliche Leistung. Es zeigt, dass alles einen Namen hat, aber diese Bedeutung ist nur für Menschen sinnvoll, die die Sprache sprechen. Die unermüdliche Wiederholung der Früchte nimmt ihnen allmählich ihre Bedeutung. Sie sind keine Früchte mehr, sondern Objekte mit einem Namen. Ich sehe diese Früchte, aber ich identifiziere sie nicht mehr als solche. Ich frage mich sogar, was für ein Objekt vor mir liegt. Ein Name. Aber was bedeutet dieser Name? Die Diskrepanz zwischen Signifikat, dem Beschriebenen, und Signifikant, der Beschreibung, verwirrt mich.
Dann: müde? Enttäuscht? Besiegt? Torben Jost legt die Früchte wieder in die Schüssel. Trinkt etwas Wasser. Beobachtet uns. Macht es noch mal. Das scheint ihn immer noch nicht zu befriedigen. Er stolpert über ein Wort. Stoppt. Trinkt. Zieht sich eine Supermarktquittung aus der Jeanstasche. Liest sie. Merkt sie sich. Hebt seinen Kopf hoch. Hebt seinen Finger. Zeigt mit dem Finger auf eine Frucht. Sagt eine Zahl. 1.90; 1.20; 1.20; 1.20; 1.70…. Objekte werden nicht mehr mit dem Namen, sondern mit dem Wert bezeichnet. Allmählich hat die Frucht keine Bedeutung mehr als Frucht, etwas, das mit Nahrung identifiziert wird, sondern wird zu einem Preis. Ist das eine Kritik an unserer Gesellschaft? Betont er, dass der Name einer Sache am Ende nichts mehr bedeutet, sondern dass es ihr Wert ist, der wichtig und damit bedeutsam ist?
Er folgt der Liste und wiederholt diese Zahlen immer wieder. Die Zahlen werden vertauscht. Außer Atem. Erschöpft. Er bleibt stehen. Trinkt. Beobachtet uns. Neuanfang: Avocado, Banane, Mango, Granatapfel, Ananas. Stoppt. Beobachtet uns. Lässt die Schüssel stehen. Wendet sie von uns ab. Geht raus.
"Torben Jost, Exotic Exploration"
Performance, 20 mins, 2019
Veranstaltet von &8 Art Salon
Für die Ausstellung "Assembled [Im]potency" – Kuratorin Eight Fang
25 Mai 2019, 20 Uhr
GlogauAIR Project Space Berlin
Glogauer Str. 16
10999 Berlin
Vor dem Künstler steht ein Tisch aus Gestellen und einem Brett, auf dem eine transparente Schale steht, die die Rolle einer Obstschale spielt. Im Inneren fünf exotische Früchte: Ananas, Bananen, Avocado, Mango, Granatapfel.
Stille des Publikums. Banane, Mango, Avocado, Granatapfel, Ananas. Wie eine Litanei wiederholt der Künstler diese Worte unermüdlich und zeigt nacheinander auf jede der Früchte. Die Reihenfolge ist unterschiedlich. Die Bewegung seiner Hand ist immer die gleiche. Ein Finger streckt sich gen Frucht, deren Name sodann genannt wird. Hier geht es um einen Ernennung. Objekt X hat einen Namen. Mit der Zeit verschwindet die Bedeutung dieses Wortes für mich. Des Künstlers Litanei wird zu meiner eigenen Litanei. Während ihm stimmlich die Luft ausgeht, geht mir geistig die Luft aus. Die Namen verschmelzen miteinander. Dann stolpert der Künstler über ein Wort, stoppt. Wir, die stille Öffentlichkeit, schauen uns an.
Er nimmt die Früchte einzeln heraus, legt sie in gerader Linie auf den Tisch und stellt sie ihm und uns gegenüber. Zwischen jeder Frucht befindet sich ein Raum, fast gemessen. Zufrieden mit seiner Disposition hebt er den Kopf und schaut uns an. Atmet ein. Erhebt seinen Arm, zeigt mit dem Finger und…. Avocado, Banane, Granatapfel, Ananas, Mango. Die Aufzählung beginnt erneut. Diesmal identisch. Immer schneller und schneller. Nach einer Weile schaut er nicht mehr auf die Früchte, sondern beobachtet, wie wir weiterhin auf jede Frucht blicken, indem er sie benennt. Automatisches Lernen. Es erinnert mich an die Art und Weise, wie ich ein Musikstück lerne. Ich lese zuerst die Noten und spiele sie nach der Partitur, wiederhole diese Noten dann immer wieder, um sie mir zu merken. Die Finger merken sich die Position der Noten auf der Klaviertastatur. Das Gehirn merkt sich die Gesten: wo sich jede Taste auf der Tastatur befindet. Mein Ohr zeichnet das Geräusch auf und kann einen Fehler erkennen.
Der Künstler zeigt hier eine Performance von Erinnerung durch Wiederholung. Das Gehirn nimmt auf. Manchmal schlägt es fehl.
Torben Jost versucht eine neue Kombination, indem er die Früchte bewegt, aber auch anders positioniert. Die Ananas, die sich hingelegt hat, steht nun auf.
Im Publikum etwas Lachen und Lächeln. Humor? Hindernis? Langeweile? Es ist fast wie Situationskomik. Angesichts der Konzentration des Künstlers, der nicht schwächt, werden wir schwächer. Wir lassen uns von unseren Emotionen überwältigen. Aber hier geht es um Kontrolle. Mechanik. Fast roboterhaft. Der Künstler führt unermüdlich die gleiche Geste aus. Sagt immer wieder die gleichen Worte, drückt aber keine Emotionen aus. Obwohl er manchmal scheitert, fängt er immer wieder von vorne an.
Es bezieht sich auch auf Kindheit und Sprachenlernen. Wenn wir die Namen der Objekte erfahren. Unsere Eltern lassen uns unermüdlich wiederholen, indem sie auf den Namen eines Objekts hinweisen. Die gebogene gelbe Frucht ist eine Banana. Wiederholung ist die Grundlage des Sprachenlernens. Ebenso, wenn wir eine Fremdsprache lernen, beginnen wir diesen Prozess von vorne. Es ist die Grundlage der Sprache, dass alles ein Name, eine Bezeichnung ist. Torben Jost erreicht hier eine sprachliche Leistung. Es zeigt, dass alles einen Namen hat, aber diese Bedeutung ist nur für Menschen sinnvoll, die die Sprache sprechen. Die unermüdliche Wiederholung der Früchte nimmt ihnen allmählich ihre Bedeutung. Sie sind keine Früchte mehr, sondern Objekte mit einem Namen. Ich sehe diese Früchte, aber ich identifiziere sie nicht mehr als solche. Ich frage mich sogar, was für ein Objekt vor mir liegt. Ein Name. Aber was bedeutet dieser Name? Die Diskrepanz zwischen Signifikat, dem Beschriebenen, und Signifikant, der Beschreibung, verwirrt mich.
Dann: müde? Enttäuscht? Besiegt? Torben Jost legt die Früchte wieder in die Schüssel. Trinkt etwas Wasser. Beobachtet uns. Macht es noch mal. Das scheint ihn immer noch nicht zu befriedigen. Er stolpert über ein Wort. Stoppt. Trinkt. Zieht sich eine Supermarktquittung aus der Jeanstasche. Liest sie. Merkt sie sich. Hebt seinen Kopf hoch. Hebt seinen Finger. Zeigt mit dem Finger auf eine Frucht. Sagt eine Zahl. 1.90; 1.20; 1.20; 1.20; 1.70…. Objekte werden nicht mehr mit dem Namen, sondern mit dem Wert bezeichnet. Allmählich hat die Frucht keine Bedeutung mehr als Frucht, etwas, das mit Nahrung identifiziert wird, sondern wird zu einem Preis. Ist das eine Kritik an unserer Gesellschaft? Betont er, dass der Name einer Sache am Ende nichts mehr bedeutet, sondern dass es ihr Wert ist, der wichtig und damit bedeutsam ist?
Er folgt der Liste und wiederholt diese Zahlen immer wieder. Die Zahlen werden vertauscht. Außer Atem. Erschöpft. Er bleibt stehen. Trinkt. Beobachtet uns. Neuanfang: Avocado, Banane, Mango, Granatapfel, Ananas. Stoppt. Beobachtet uns. Lässt die Schüssel stehen. Wendet sie von uns ab. Geht raus.