To the memory of Jeanne-Claude

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Wenn Christo und Jeanne-Claudes Verhüllungs-Aktionen zur Neuentdeckung des dabei Verhüllten führen, wenn die Verdeckung den Blick für das Übersehene und Vergessene schärfen kann, sollten wir Jeanne-Claudes zu selten geschriebenen Namen in allen Büchern und Magazinen mit knallrotem Filzstift markieren, bis das Papier zerreißt und der Name unlesbar wird. Vielleicht sollten wir Jeanne-Claude auf allen Fotografien des berühmten Duos mit einem dichten Jutestoff bedecken, damit alle sich erinnern, wer sie war.

Nein, natürlich muss es nicht so weit gehen. Die Realität zeigt uns: Es kommt nicht darauf an, wie viele Stoffschichten Frauen tragen. Ob nackt oder verschleiert, sie werden vergessen und bleiben in der Geschichtsschreibung unerwähnt. In allen Texten über das Künstler*innen-Duo Christo und Jeanne-Claude ist das ganz offensichtlich: mal wird über ihn, Christo, berichtet, mal über sie – in der Pluralform. Je nachdem handelt es sich um seine Projekte oder um eine Zusammenarbeit zwischen ihm und Jeanne-Claude. Diese Art, Sätze zu formulieren, wo Jeanne-Claude wortwörtlich verschwindet, ist sehr aufschlussreich. In einem Buch von Jacob-Baal-Teshuva wird sie sogar auf „Christos Frau und Mitarbeiterin“ reduziert1. Frau und Mitarbeiterin.

In der gesamten Literatur und auch in der aktuellen Ausstellung im Berliner Palais Populaire, wo ein biografischer Text den Lebensweg des Künstler*innen-Duos beschreibt, darf man nur die Geschichte von Christo Javareff zur Kenntnis nehmen. Wie er, immer nur er, Jeanne-Claude kennen gelernt hat. Warum er nach Paris gezogen ist und was er da gemacht hat. Mit welchen anderen Künstler*innen er in Kontakt war. Jeanne-Claudes Leben scheint die Autoren*innen und Kuratoren*innen weniger zu interessieren: Sie ist in Casablanca (am gleichen Tag wie er) in eine französische Familie geboren und hat an der Universität von Tunis Latein und Philosophie studiert. Später ist sie nach Paris gezogen, wo er sie kennengelernt hat. Und bloß nicht sie ihn. Viel mehr über Jeanne-Claude Denat darf man meistens leider nicht erfahren. Durch die vermittelte Biografie erscheint Christo wie der aktive Part sowohl der künstlerischen als auch der privaten Beziehung und Jeanne-Claude wird folglich die Nebenrolle zugewiesen.

Als das Paar sich kennenlernte, 1958, war Jeanne-Claude keine Künstlerin, während Christo bereits als Künstler agierte. Eine Weile arbeiteten sie als Duo unter dem Namen “Christo”, vom ersten gemeinsamen Projekt im Jahr 1961 (Stacked Oil Barrels und Dockside Packages, Kölner Hafen) bis 1994, als sie die Entscheidung trafen, dass „Christo and Jeanne-Claude“ ihr offizieller Name als Duo sein sollte2. Das hat sich danach nie wieder geändert. Dennoch werden sie weiterhin oftmals lediglich “Christo” genannt. Während die Ausstellungs- und Publikationstitel häufig den offiziellen Künstler*innen-Namen respektieren, ist ab Seite 1 und nach dem ersten Wandtext leider ausnahmslos von “Christo” die Rede. Höchstens und im besten Fall von „den Christos“. Dabei heißen sie seit 1994 offiziell „Christo und Jeanne-Claude“. Diese Wiederholung scheint notwendig.

1994 bin ich geboren. Ich bin zwar jung, doch 25 Jahre sind viel Zeit. Genug Zeit, um Vieles zu lernen: Mehrere Sprachen, Lesen, Schreiben, Auto-, Fahrrad- und Einradfahren, Weinschmecken, Maskennähen, Pfannkuchen backen und politisch denken. Es ist scheinbar nicht genug Zeit für die Kunstszene gewesen, um den Namen „Christo und Jean-Claude“ zu übernehmen und über das Duo in der Pluralform zu sprechen. Wenn man weiß, wie viele Texte über das Künstler*innen-Duo existieren und erkennt, wie Jeanne-Claudes Name ständig “vergessen” wird, und dies seit 1994, muss man es einsehen: Ihre Ausradierung liegt an einem patriarchalen (Kunst-)System, in dem Frauen im Schatten mächtigerer Männern leben müssen. 

Dabei war Jeanne-Claudes Rolle in der künstlerischen Arbeit nicht weniger wichtig als Christos Leistung. Die Ideen für die Projekte wurden meistens gemeinsam entwickelt. Es ist daher nicht immer klar, von wem eine Idee ursprünglich kam. Im Falle der Arbeit Surrender Islands erklärte das Künstler*innen-Duo jedoch erst spät, dass die Idee von Jeanne-Claude stammte. Die Erklärung hierfür scheint einleuchtend: Das Künstler*innen-Duo nahm an, dass sie nie die Genehmigung für das Projekt erhalten hätten, wenn die Idee einer Frau zugeschrieben wäre. In einem Interview3 aus dem Jahr 2004 erzählt Jeanne-Claude zudem, dass Christo die Skizzen zeichnete und malte, die später für die Finanzierung von Projekten verkauft wurden; Jeanne-Claude arbeitete in der Buchhaltung. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Jeanne-Claude auch für diverse administrative Aufgaben zuständig war. In Genehmigungsanfragen, Anträgen und Verhandlungen mit politischen und städtischen Institutionen war sie stark involviert. Heute würde man sagen, dass sie unter anderem „Projektmanagerin“ war. Diese Arbeit, obgleich unsichtbar für das Publikum, ist essentiell. In einem Interview verglich Christo die gemeinsame Kunst mit der von Architekten*innen und Stadtplaner*innen: „Wenn Maler oder Bildhauer uns fragen, wie wir 4 oder 6 oder 10 oder 21 Jahre lang an ein und demselben Projekt arbeiten können, dann haben sie nicht erkannt, was jedem einzelnen unserer Werke inhärent ist; Architekten oder Stadtplanern würden sie diese Frage nie stellen, weil es offensichtlich ist, dass man viele Jahre braucht, um eine Brücke, einen Wolkenkratzer, einen Highway oder einen Flughafen hervorzubringen.“4 Folglich darf Jeanne-Claudes Rolle als Projektleiterin nicht übergangen werden. Ihre Leistung muss in jeder Ausstellung und in jedem Text verständlich werden.

In der Ausstellung im Palais Populaire werden ausschließlich Zeichnungen und verhüllte Objekte gezeigt5, die dementsprechend nur die Arbeit von Christo in Betracht nehmen, da Jeanne-Claude nie für die Projekte gezeichnet hat. Dazu hängen auch Fotos von einigen gelungenen Projekten. Wenn 2020 eine Ausstellung „Christo und Jeanne-Claude“ genannt wird, in der nur Christos Arbeit präsent ist, ignoriert man ganz absichtlich die Leistung von Jeanne-Claude. Man lässt sie bewusst unsichtbar bleiben. Jeanne-Claudes Arbeitsbereiche im Künstler*innen-Duo mögen weniger attraktiv wirken wie die Skizzen eines Christo. Doch ist dies kein Grund, sie verschwinden zu lassen. Kurator*innen haben die Verantwortung und die Herausforderung, die patriarchale Darstellung von Christo und Jeanne-Claudes Kunst zu dekonstruieren. Im Berliner Palais Populaire ist das unwiderlegbar gescheitert. Im Juli wird die Ausstellung „Christo et Jeanne-Claude, Paris!“ im Centre Pompidou eröffnen. Die aktuelle Ausstellung in Berlin zeigt, dass patriarchale Darstellungen der Arbeit des Künstlerpaars überwunden werden müssen. Dass Jeanne-Claudes Rolle kein weiteres Mal unsichtbar gemacht werden darf.

1 Jacob Baal-Teshuva, Christo: Der Reichstag und urbane Projekte. Prestel Verlag, München, 1993
2 Alle Informationen befinden sich auf der offiziellen Webseite christojeanneclaude.net . „Because Christo was already an artist when they met in 1958 in Paris, and Jeanne-Claude was not an artist then, they have decided that their name will be „Christo and Jeanne-Claude,“ NOT „Jeanne-Claude and Christo.““
3 „Entretien avec Christo et Jeanne-Claude“. L’en-je lacanien 4, Nr. 1 (2005): 159–85. https://doi.org/10.3917/enje.004.0159.
4 Zitiert von Jacob Baal-Teshuva, in Christo und Jeanne-Claude, Taschen, Köln, 1995
5 Alle Exponate kommen aus der Sammlung von Ingrid und Thomas Jochheim.

Cover: Christo and Jeanne-Claude looking for a possible site for The Mastaba, February 1982
Photo: Wolfgang Volz © 1982 Christo

Julia Ben Abdallah is an art historian and co-founded the collective for art critique POKUS - Poetische Kunstkritik Berlin in 2019. While aspiring to an accessible and independent art critique, she has a strong interest for outsider art (Art Brut) and anchors her work in a feminist intersectional perspective.