Ein „Neues Europäisches Bauhaus“ — diese Vision pitchte Ursula von der Leyen jüngst im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. In einem Gastbeitrag beschrieb die Kommissionspräsidentin der EU, wie die Künste an der Realisierung der Brüssler Nachhaltigkeitsagenda Green Deal mitwirken sollen. Sie zeichnete das Europäische Bauhaus als interdisziplinären Raum für Architekt*innen, Künstler*innen, Student*innen, Systemwissenschaftler*innen, Ingenieur*innen und Designer*innen, die den Deal auf „innovative, bürgernahe Weise […] anschaulich und erfahrbar“ machen sollen. Nachhaltigkeit und „gutes Design“ müssten verbunden, der „Megatrend Digitalisierung“ fruchtbar gemacht werden. In den kommenden zwei Jahren will die EU zunächst fünf Europäische Bauhaus-Projekte in verschiedenen Mitgliedsländern anregen, die Nachhaltigkeit mit Schwerpunkten wie Baustoff, Energieeffizienz, Demographie, Mobilität und Digitalität verbinden.
In dieser Vision entfaltet die EU ein recht pragmatisches Kulturverständnis. Die Klimakrise fordert grundlegende Veränderungen der systemischen Strukturen und individuellen Gewohnheiten. Die Moderation dieses Übergangs den Künsten zu übertragen, schließt an das Selbstverständnis des Bauhaus an, das tatsächlich eine neue Gesellschaft gestalten wollte. Doch wie dieses soziale Gesamtkunstwerk aussehen sollte, nach welchen Werten Kunst und Leben verbunden sein müssten, verhandelten die Angehörigen der 1919 als Reformschule gegründeten Weimarer Kunst- und Handwerksakademie mit derart großen Differenzen, dass der Begriff Bauhaus nur kaleidoskopisch verwendet werden kann. Nicht erst seit den Symposien und Museumseröffnungen im Jubiläumsjahr 2019 fächert die Forschung im Plural viele Bauhäuser auf. Gerade angesichts dieser Varianz bemühen sich Historiker*innen Verdichtungen und Überlagerungen zu benennen, die übergreifend gelten. Architekturhistoriker Philipp Oswalt bemerkt zum Beispiel, dass alle Bauhäuser sich zur ihrerzeit kriselnden Moderne verhielten, wenn auch mit auseinanderweisenden Visionen. Als die Schule in Weimar eröffnete, befanden sich die Europäer*innen schon in einer durch Industrialisierung und Urbanisierung völlig umgeprägten Lebenswelt. Die Angehörigen des Bauhaus versuchten in vielen Akten gestalterischer Mediation, den Bruch zwischen dem Vergangenen und Zukünftigen zu überwinden. Einschlägige Designs sollten visuell und haptisch klarstellen, in welche Richtung die hochdynamische Gesellschaft sich entwickelte. Heute wird mit dem Bauhaus vor allem ein kühler Modernismus assoziiert, der dem Schwindel der Moderne mit scheinbarer Einfachheit und Ordnung begegnen wollte. Dieser Stil wird vielleicht auch deswegen so häufig mit dem Bauhaus assoziiert, weil er selbst in der Rückschau auf die Moderne noch Komplexitätsreduktion verspricht: Für die Beantwortung der Frage, was das Bauhaus war, scheinen Ikonen wie das Haus Horn klare Linien vorzugeben.
Viel klärender scheint da die Annahme, dass die Bauhäuser nur im Rahmen des Modernisierungsprozess verstanden werden können, der sie trieb und den sie gleichzeitig lenken wollten. Gerade weil sie sich konkret zum gesellschaftlichen Wandel positionierten und ein eigenes Geschichtsverständnis postulierten, müssen die Bauhäuser historisierend verstanden werden. Geht man stattdessen von einer vermeintlichen Zeitlosigkeit des Bauhaus aus, übernimmt man unkritisch auch seine fortschrittsoptimistische Mentalität. Es scheint bemerkenswert, dass gegenwärtige Klimapolitiker*innen, die den ökologisch desaströsen Niederschlag der Moderne zu verwalten haben, das Gedankengut dieser Phase zur Inspiration küren. Tatsächlich ist die Europäische Kommission dabei kein Einzelfall: Rückbezüge auf die Moderne bestimmen zunehmend den Stil zeitgenössischer Nachhaltigkeitsagenden. In den USA bezieht sich der Green New Deal noch deutlich unmittelbarer auf eine große sozialstaatliche Reform des 20. Jahrhunderts, den New Deal, mit dem der damalige Präsident Theodor Roosevelt die Great Depression abfing — und die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung schuf, der gleichzeitig eine Kultur extremer Umweltschädigung begründete.
Dabei plädieren zeitgenössische Politiker*innen nicht für eine Zeitschleife oder eine ewige Wiederkehr der konsumkulturellen Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Stattdessen geben sich ihre Visionen off-modern: sie greifen die deutsche und US-amerikanische Moderne auf, um über nicht genommene kulturelle Abfahrten und verstrichene Chancen im frühen 20. Jahrhundert zu spekulieren. Dabei laufen sie allerdings Gefahr, historische Tiefendimensionen auszuschließen. Sie vernachlässigen, warum die deutsche Gesellschaft wenige Jahre nach der Bauhausgründung dem Faschismus zujubelte, warum auch einige Bauhäusler*innen dem Nationalsozialismus verbunden waren. Von der Leyens Skizze scheint das Dritte Reich gleich doppelt überwinden zu wollen: transhistorisch durch ein vermeintlich von den Bauhäusern postuliertes liberales Deutschland, transatlantisch in der Aneignung der antifaschistischen Vision des New Deal. Diese träumerische Lektüre jüngerer Geschichte stellt auch jede realpolitische Agenda mit Langzeitperspektive in Frage, die von der Kommission ausgegeben wird. Will man die Komplexität der klimapolitischen Planung wirklich jenen Politiker*innen anvertrauen, die im Feuilleton die Vielschichtigkeit der Geschichte zu glätten versuchen?
Unscharf sind die Green Deals aber nicht nur wegen der Sentimentalität, sondern auch, weil der Begriff zunehmend aufweicht. Nachdem verschiedene Journalist*innen und Ökonom*innen das Konzept im Zuge der Finanzkrise 2008 noch als radikale, ökologische Neuausrichtung neoliberaler Wirtschaften formuliert hatten, wurde es verschiedentlich angeeignet, so auch von der institutionellen Politik. Kritiker*innen werfen der EU und den US-amerikanischen Democrats vor, das Konzept auszuhöhlen. Ein Green Deal ohne strikte Forderungen und Maßnahmen ist nur ein hollow term: eine Hülse. Angesichts der Gegenwärtigkeit der Klimakrise sind solche Vagheiten klare Positionierungen: sie bedeuten eine Fortschreibung der Zerstörung. Zwar bezeichnet die EU-Umweltagentur ihren Green Deal als Antwort auf „Umweltprobleme von beispiellosem Ausmaß und Dringlichkeit“, doch ihr Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, bedeutet nach dem aktuellen Forschungsstand, dass die Erderwärmung nicht auf 1,5 Grad begrenzt werden kann. Das würde für viele Regionen eine fatale Verschärfung der bereits bestehenden Schädigung bedeuten. Zwar wurden die freischwebenden Ziele des Entwurfs Anfang Oktober verschärft, doch das gelang nur durch die Militanz von Klimagruppen innerhalb und außerhalb des Parlaments. Und laut der Opposition reicht auch der strengere Entwurf nicht, um den Temperaturanstieg auf eine global verantwortliche Weise zu begrenzen, zudem sind Finanzierung und Umsetzung kaum geklärt.
Offenbar will die Europäische Kommission den aktuellen Green Deal mit dem “Neuen Europäischen Bauhaus” von den Künsten beleben lassen, ohne die vielen Variablen ihres Konzepts zu klären. Jene Kreativen und Forscher*innen, die Teil der neuen Plattform werden, haben daher die Möglichkeit, sich gerade nicht auf die Umsetzung der aktuellen Pläne zu verpflichten, sondern die bislang festgelegten Ziele in eine klimagerechte Richtung zu verschieben. Außerdem können sie dazu beitragen, die Nostalgie der Bauhausmetapher zu reflektieren. Nicht nur das Bauhaus, auch der Begriff Green (New) Deal kann so Bedeutung annehmen. Und darin liegt großes politisches Potential. Ökologische Kämpfe finden nicht länger nur auf den Straßen, sondern auch in der Kommunikation statt. Das hat bislang vor allem das Phänomen Greenwashing gezeigt. Es kann aber auch für eine radikale, gerechte und aktive Ausdeutung von klimapolitischen Konzepten genutzt werden. Die von der Kommission beauftragten Nachhaltigkeitskünstler*innen haben die Möglichkeit zu einer undisziplinierten, energischen Mitgestaltung der EU-Klimapolitik. Ihren Alias “Neues europäisches Bauhaus” können sie vor allem als Memento dafür verstehen, wie essentiell ein tiefschürfendes Verständnis der Moderne für die Bewältigung der Klimakrise ist.
Ein „Neues Europäisches Bauhaus“ — diese Vision pitchte Ursula von der Leyen jüngst im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. In einem Gastbeitrag beschrieb die Kommissionspräsidentin der EU, wie die Künste an der Realisierung der Brüssler Nachhaltigkeitsagenda Green Deal mitwirken sollen. Sie zeichnete das Europäische Bauhaus als interdisziplinären Raum für Architekt*innen, Künstler*innen, Student*innen, Systemwissenschaftler*innen, Ingenieur*innen und Designer*innen, die den Deal auf „innovative, bürgernahe Weise […] anschaulich und erfahrbar“ machen sollen. Nachhaltigkeit und „gutes Design“ müssten verbunden, der „Megatrend Digitalisierung“ fruchtbar gemacht werden. In den kommenden zwei Jahren will die EU zunächst fünf Europäische Bauhaus-Projekte in verschiedenen Mitgliedsländern anregen, die Nachhaltigkeit mit Schwerpunkten wie Baustoff, Energieeffizienz, Demographie, Mobilität und Digitalität verbinden.
In dieser Vision entfaltet die EU ein recht pragmatisches Kulturverständnis. Die Klimakrise fordert grundlegende Veränderungen der systemischen Strukturen und individuellen Gewohnheiten. Die Moderation dieses Übergangs den Künsten zu übertragen, schließt an das Selbstverständnis des Bauhaus an, das tatsächlich eine neue Gesellschaft gestalten wollte. Doch wie dieses soziale Gesamtkunstwerk aussehen sollte, nach welchen Werten Kunst und Leben verbunden sein müssten, verhandelten die Angehörigen der 1919 als Reformschule gegründeten Weimarer Kunst- und Handwerksakademie mit derart großen Differenzen, dass der Begriff Bauhaus nur kaleidoskopisch verwendet werden kann. Nicht erst seit den Symposien und Museumseröffnungen im Jubiläumsjahr 2019 fächert die Forschung im Plural viele Bauhäuser auf. Gerade angesichts dieser Varianz bemühen sich Historiker*innen Verdichtungen und Überlagerungen zu benennen, die übergreifend gelten. Architekturhistoriker Philipp Oswalt bemerkt zum Beispiel, dass alle Bauhäuser sich zur ihrerzeit kriselnden Moderne verhielten, wenn auch mit auseinanderweisenden Visionen. Als die Schule in Weimar eröffnete, befanden sich die Europäer*innen schon in einer durch Industrialisierung und Urbanisierung völlig umgeprägten Lebenswelt. Die Angehörigen des Bauhaus versuchten in vielen Akten gestalterischer Mediation, den Bruch zwischen dem Vergangenen und Zukünftigen zu überwinden. Einschlägige Designs sollten visuell und haptisch klarstellen, in welche Richtung die hochdynamische Gesellschaft sich entwickelte. Heute wird mit dem Bauhaus vor allem ein kühler Modernismus assoziiert, der dem Schwindel der Moderne mit scheinbarer Einfachheit und Ordnung begegnen wollte. Dieser Stil wird vielleicht auch deswegen so häufig mit dem Bauhaus assoziiert, weil er selbst in der Rückschau auf die Moderne noch Komplexitätsreduktion verspricht: Für die Beantwortung der Frage, was das Bauhaus war, scheinen Ikonen wie das Haus Horn klare Linien vorzugeben.
Viel klärender scheint da die Annahme, dass die Bauhäuser nur im Rahmen des Modernisierungsprozess verstanden werden können, der sie trieb und den sie gleichzeitig lenken wollten. Gerade weil sie sich konkret zum gesellschaftlichen Wandel positionierten und ein eigenes Geschichtsverständnis postulierten, müssen die Bauhäuser historisierend verstanden werden. Geht man stattdessen von einer vermeintlichen Zeitlosigkeit des Bauhaus aus, übernimmt man unkritisch auch seine fortschrittsoptimistische Mentalität. Es scheint bemerkenswert, dass gegenwärtige Klimapolitiker*innen, die den ökologisch desaströsen Niederschlag der Moderne zu verwalten haben, das Gedankengut dieser Phase zur Inspiration küren. Tatsächlich ist die Europäische Kommission dabei kein Einzelfall: Rückbezüge auf die Moderne bestimmen zunehmend den Stil zeitgenössischer Nachhaltigkeitsagenden. In den USA bezieht sich der Green New Deal noch deutlich unmittelbarer auf eine große sozialstaatliche Reform des 20. Jahrhunderts, den New Deal, mit dem der damalige Präsident Theodor Roosevelt die Great Depression abfing — und die Grundlage für den wirtschaftlichen Aufschwung schuf, der gleichzeitig eine Kultur extremer Umweltschädigung begründete.
Dabei plädieren zeitgenössische Politiker*innen nicht für eine Zeitschleife oder eine ewige Wiederkehr der konsumkulturellen Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Stattdessen geben sich ihre Visionen off-modern: sie greifen die deutsche und US-amerikanische Moderne auf, um über nicht genommene kulturelle Abfahrten und verstrichene Chancen im frühen 20. Jahrhundert zu spekulieren. Dabei laufen sie allerdings Gefahr, historische Tiefendimensionen auszuschließen. Sie vernachlässigen, warum die deutsche Gesellschaft wenige Jahre nach der Bauhausgründung dem Faschismus zujubelte, warum auch einige Bauhäusler*innen dem Nationalsozialismus verbunden waren. Von der Leyens Skizze scheint das Dritte Reich gleich doppelt überwinden zu wollen: transhistorisch durch ein vermeintlich von den Bauhäusern postuliertes liberales Deutschland, transatlantisch in der Aneignung der antifaschistischen Vision des New Deal. Diese träumerische Lektüre jüngerer Geschichte stellt auch jede realpolitische Agenda mit Langzeitperspektive in Frage, die von der Kommission ausgegeben wird. Will man die Komplexität der klimapolitischen Planung wirklich jenen Politiker*innen anvertrauen, die im Feuilleton die Vielschichtigkeit der Geschichte zu glätten versuchen?
Unscharf sind die Green Deals aber nicht nur wegen der Sentimentalität, sondern auch, weil der Begriff zunehmend aufweicht. Nachdem verschiedene Journalist*innen und Ökonom*innen das Konzept im Zuge der Finanzkrise 2008 noch als radikale, ökologische Neuausrichtung neoliberaler Wirtschaften formuliert hatten, wurde es verschiedentlich angeeignet, so auch von der institutionellen Politik. Kritiker*innen werfen der EU und den US-amerikanischen Democrats vor, das Konzept auszuhöhlen. Ein Green Deal ohne strikte Forderungen und Maßnahmen ist nur ein hollow term: eine Hülse. Angesichts der Gegenwärtigkeit der Klimakrise sind solche Vagheiten klare Positionierungen: sie bedeuten eine Fortschreibung der Zerstörung. Zwar bezeichnet die EU-Umweltagentur ihren Green Deal als Antwort auf „Umweltprobleme von beispiellosem Ausmaß und Dringlichkeit“, doch ihr Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden, bedeutet nach dem aktuellen Forschungsstand, dass die Erderwärmung nicht auf 1,5 Grad begrenzt werden kann. Das würde für viele Regionen eine fatale Verschärfung der bereits bestehenden Schädigung bedeuten. Zwar wurden die freischwebenden Ziele des Entwurfs Anfang Oktober verschärft, doch das gelang nur durch die Militanz von Klimagruppen innerhalb und außerhalb des Parlaments. Und laut der Opposition reicht auch der strengere Entwurf nicht, um den Temperaturanstieg auf eine global verantwortliche Weise zu begrenzen, zudem sind Finanzierung und Umsetzung kaum geklärt.
Offenbar will die Europäische Kommission den aktuellen Green Deal mit dem “Neuen Europäischen Bauhaus” von den Künsten beleben lassen, ohne die vielen Variablen ihres Konzepts zu klären. Jene Kreativen und Forscher*innen, die Teil der neuen Plattform werden, haben daher die Möglichkeit, sich gerade nicht auf die Umsetzung der aktuellen Pläne zu verpflichten, sondern die bislang festgelegten Ziele in eine klimagerechte Richtung zu verschieben. Außerdem können sie dazu beitragen, die Nostalgie der Bauhausmetapher zu reflektieren. Nicht nur das Bauhaus, auch der Begriff Green (New) Deal kann so Bedeutung annehmen. Und darin liegt großes politisches Potential. Ökologische Kämpfe finden nicht länger nur auf den Straßen, sondern auch in der Kommunikation statt. Das hat bislang vor allem das Phänomen Greenwashing gezeigt. Es kann aber auch für eine radikale, gerechte und aktive Ausdeutung von klimapolitischen Konzepten genutzt werden. Die von der Kommission beauftragten Nachhaltigkeitskünstler*innen haben die Möglichkeit zu einer undisziplinierten, energischen Mitgestaltung der EU-Klimapolitik. Ihren Alias “Neues europäisches Bauhaus” können sie vor allem als Memento dafür verstehen, wie essentiell ein tiefschürfendes Verständnis der Moderne für die Bewältigung der Klimakrise ist.
Abbildung: Dessau, Bauhaus © Janine Pohl, 2007